Viel war über den Titel Year Walk vor Release nicht bekannt. Lediglich ein paar mysteriöse Videos wurden veröffentlicht, deren Inhalte wenige Rückschlüsse auf etwaige Einzelheiten des Spieles zuließ. Es sah aus nach einem düsteren First-Person-Adventure um längst vergessene Traditionen und schwedische Folklore mit einer gehörigen Prise Grusel. Das sich für den Titel verantwortlich zeigende Entwicklerstudio Simogo, ansässig im schwedischen Malmö, hat sich bisher einen nicht unbeachtlichen Bekanntheitsgrad durch iOS-Perlen wie Bumpy Road und Beat Sneak Bandit verschafft. Beide Titel fielen im manchmal doch sehr grau wirkenden Einheitsbrei der Casual-Games durch spaßige und neuartige Spielkonzepte und innovatives Gameplay auf. Die Erwartungen an Year Walk sind dementsprechend hoch. Wir haben uns den Titel für euch näher angesehen.

-b1-Year Walk lässt sich unter Anwendung herkömmlicher Kriterien für ein Videospiel nur schwer beurteilen. Und damit nehmen wir zumindest einen Teil des Fazits schon vorweg, denn das liegt daran, dass es wie bereits vermutet, ein wenig anders ist als andere Titel. Das fängt bereits damit an, dass zum eigentlichen Spiel eine “Year Walk Companion“-App im Store zum Download bereitsteht, die euch während des Spielens als eine Art Reiseführer zur Seite steht. Wer also iPad und iPhone besitzt, der streift auf dem großen Bildschirm durch die verschneiten schwedischen Wälder, während er auf dem kleinen zeitgleich mit Informationen über die mythologischen Kreaturen versorgt wird, die ihm im Spiel über den Weg laufen. Die Story ist simpel und will selbstverständlich nicht von uns gespoilert werden. Grundsätzlich geht es bei Year Walk aber um eine offenbar längst in Vergessenheit geratene Tradition, bei der man sich um Punkt Mitternacht ohne Essen und Trinken auf den Weg in die dichten Wälder Schwedens machte, um sich sagenumwobenen Kreaturen und Dämonen zu stellen und am Ende der Reise mit einem Blick in die Zukunft belohnt zu werden.
-b2-Es ist eben jenes Unterfangen, auf schwedisch “Ã¥rsgÃ¥ng” genannt, dass ihr in Year Walk wagt. Und wagen tut ihr tatsächlich etwas, denn der Titel geizt nicht mit gruseligen Elementen und lässt auch den einen oder anderen Jump Scare auf euch los. Das wirkt aber, anders als in vielen billigen Horror-Produktionen, nie aufgesetzt oder deplatziert, sondern fügt sich zu jeder Zeit perfekt in das Gesamtkonzept des Spieles ein. Dafür sorgt auch die grandiose Atmosphäre. Wir haben lange und gründlich nachgedacht und können schließlich guten Gewissens sagen, dass Year Walk es wie tatsächlich kein anderes Spiel schafft, einen durch die verflochtenen Elemente Gameplay, Grafik und Sound so tief und kompromisslos in seine Welt hineinzuziehen. Das Ding ist definitiv nichts für den schnellen Zeitvertreib auf der Bahnfahrt nach Hause, sondern sollte in Ruhe auf dem Sofa im abgedunkelten Raum und – ganz wichtig – mit Kopfhörern gespielt werden.
-b3-Wer jetzt Sorge hat, tagelang nicht mehr aus dem Haus zu kommen, der sei hiermit beruhigt. Year Walk lässt sich je nachdem, wie schnell man die Rätsel löst in gut einer Stunde durchspielen. Lasst euch aber durch die scheinbar geringe Spieldauer um Himmels Willen nicht abschrecken! Die macht das 2D-Adventure nämlich locker mit einer einmaligen Erfahrung und großartigem Gameplay wieder wett. Die Rätsel sind zu jeder Zeit fair und vorausgesetzt, ihr wandert aufmerksam und mit dem Blick fürs Detail durch die verschneiten Wälder, auch relativ problemlos zu lösen. Wenn man mal nicht weiter weiß, beginnt man, ein wenig ziellos umherzuwandern. Das mag den einen oder anderen stören, tatsächlich ist dieses verlorene Wandeln auf der Suche nach der Lösung aber ein wichtiger Teil der Spielerfahrung in Year Walk. Fast ist es so, als begebt ihr euch selbst auf die Reise und nicht der Protagonist, dessen Namen ihr erst sehr spät und im Prinzip nur mit Hilfe der Companion-App erfahrt. Ohne zu viel verraten zu wollen, verschmelzen schließlich Spiel und Realität sogar und man findet sich schwer atmend und tief getroffen in den Sessel gesunken wieder, während der Abspann über den Bildschirm läuft.
Ihr habt beim Lesen sicher schon gemerkt, dass dieser Test sich stark von anderen abhebt, gerade dadurch, dass wir ziemlich wenig konkret besprechen. Das liegt eben daran, dass Year Walk ein so kurzer Titel ist, dessen Wert in einem völlig neuartigen Spielprinzip und einer großartigen Atmosphäre liegt. Jeder Hinweis auf konkrete Rätsel, Figuren oder Storyverlauf würde euch schlichtweg einen Teil dieser ganz besonderen Erfahrung rauben. Wir wollen nichtsdestotrotz auch eine Warnung aussprechen: Year Walk ist ein Titel, auf den man sich einlassen muss, für den man sich Zeit nehmen, in dessen Welt man eintauchen muss, um ihn voll auskosten zu können. Wem langsames Gameplay und eine ruhige Erzählweise zuwider ist, der sollte das Ding mit Vorsicht genießen. Außerdem sind die Texte ausschließlich auf Englisch verfügbar, was für das eigentliche Spiel ob des wenigen Texts noch vernachlässigbar ist, wenn es aber ans Lesen in der Companion-App geht, solltet ihr der Sprache aber durchaus mächtig sein.

-b4-Ach, wie gut es tut, endlich wieder in gewohnten Kategorien zu beurteilen. Zur Grafik: Die viel zitierte Atmosphäre zehrt zu einem nicht zu vernachlässigenden Teil vom großartigen Design des Spiels. Immer unter der Prämisse, dass es sich hier um einen 2D-Look handelt, ist den Schweden ein visuelles Meisterstück gelungen. Die bedrohlich skurril wirkenden Mythengestalten, bei deren Anblick euer Puls merklich in die Höhe gehen dürfte, sehen klasse aus. Die Umgebungsgestaltung hätte nicht besser sein können. Ob ihr in einer kleinen Hütte einer grobgeschnitzten Holzpuppe den Kopf verdreht, mit einer blauen Flamme einen alten Bergstollen erkundet oder euch durch die tiefschwarze Nacht in den schneebedeckten Wäldern Schwedens bewegt, alles scheint aus einem Guss. Großartig!
Der Sound ist ebenfalls hervorragend gelungen. Vorausgesetzt, ihr setzt Kopfhörer auf, kommt ihr in den fragwürdigen Genuss eines spannungserzeugenden Geräusche-Grusels der Extraklasse. Musikalische Untermalung wird sparsam eingesetzt, wenn, dann passt es jedes Mal wie die Faust aufs Auge und sorgt für eine Gänsehaut-Attacke nach der anderen.

-b5-Die Steuerung ist zu jeder Zeit intuitiv und funktioniert hervorragend. Zum Lösen der Rätsel wird eine ganze Bandbreite an Gesten von euch abverlangt. Gewöhnungsbedürftig erscheint zu Beginn die Navigation. Im Prinzip ist die Umgebung aus mehreren 2-dimensionalen Einzelbildern zusammengesetzt. Durch swipen nach links oder rechts, bewegt ihr den Bildausschnitt in die entsprechende Richtung, geht also umher bzw. schaut euch um. Schließlich könnt ihr den Ausschnitt auch vertikal verschieben, euch also nach vorne und hinten bewegen.

Year Walk ist schlicht und einfach großartig. Bereits nach den ersten paar Minuten hatten wir uns unsterblich in den Titel verliebt, der sich auf scheinbar unnachahmliche Art und Weise durch eine perfekt anmutende Kombination aus Story, Gameplay, Grafik, Sound und Atmosphäre auszeichnet. Hinzu kommt das innovative Element des begleitenden Spielens mittels der Companion-App, die, das möchten wir euch augenzwinkernd ans Herz legen, soviel mehr ist als nur schmückendes Beiwerk… Dieses Spiel verdient es, gespielt zu werden. Runterladen, los!