Seit dem Release des Grafikkrachers „Infinity Blade“ aus dem Hause ChAIR Entertainment sind nunmehr beinahe zwei Jahre ins Land gegangen. Der Titel war damals der erste, der den mittlerweile aus der Spieleindustrie nicht mehr wegzudenkenden Unreal Engine 3 nutzte und damit wunderschöne Welten auf Smartphone und Tablet-Bildschirme zauberte. Was damals allerdings lediglich eine spielbare Performance-Simulation war, ist heute Grundlage für frei begehbare Abenteuerwelten, spannende Kämpfe und großartig erzählte Geschichten. Phosphor Games€˜ „Horn“ hat vorgemacht, wies gehen kann, Entwickler Gameloft hat mit ihrem neuen Titel „Wild Blood“ ähnliche Ambitionen. Ein „God of War“-Klon, angesiedelt im mystischen Britannien des 5. Jahrhunderts kann das funktionieren? Wir haben den vermeintlichen Kracher auf Herz und Nieren getestet
-b1-Allen, die mit dem Gedanken spielen, erotisch-romantische Beziehungen mit einem Menschen einzugehen, der sich in festen Händen befindet, sei hiermit gesagt: LASST DAS SEIN! Ernsthaft, denn am Ende müsst ihr vermutlich die Verantwortung für solch törichte Eskapaden übernehmen und das kann unter Umständen richtig hässlich werden. Lancelot zum Beispiel, seines Zeichens Ritter und ein ganzer Kerl, konnte seine schwieligen Finger nicht von Guinevere lassen. Das wäre ja nur halb so wild gewesen, wäre die bildhübsche Frau nicht dummerweise mit König Arthus liiert. Es kommt, wie es kommen muss – Arthus, zu Recht in seinem Stolz gekränkt, sucht sich Beistand bei Hexenmeisterin Morgana, die im Bunde mit finsteren Mächten dämonenartige Geschöpfe aus der Hölle heraufbeschwört. Ein paar Augenblicke später, liegen bereits ganze Dörfer in Schutt und Asche, vor Wahnsinn rasende Dämonen metzeln rücksichtslos jeden nieder, den sie in die Finger kriegen und England steht in Flammen. Na toll.
-b2-Ganz nach dem Motto „Du hast dir die Suppe eingebrockt, jetzt musst du sie auch wieder auslöffeln“ zieht ihr nun los, das Geschehene ungeschehen zu machen, Morgana aufzuhalten und den beleidigten König wieder zur Vernunft zu bringen. Ihr beginnt in einem kleinen Dorf, das von den Horden Morganas überrannt wurde. Ausgerüstet, mit einem Schwert, so groß wie Lancelot selbst, schnetzelt ihr euch in Third-Person-View langsam, aber kontinuierlich durch die ersten Gegnerwellen und befreit ein paar Dorfbewohner, die wie Tiere in viel zu kleine Holzkäfige eingepfercht wurden. Die Kämpfe, in „Wild Blood“ uneingeschränkte Hauptbeschäftigung, machen Spaß, denn das System funktioniert eigentlich recht gut, würde aber durch eine klitzekleine Optimierung noch besser funktionieren. Ein Lock-On-Feature, mit dessen Hilfe ihr einen Gegner erfassen könnt und die Kamera sich dann auf diesen feststellt, wäre in den teilweise sehr hektisch zugehenden Gefechten eine Riesenhilfe gewesen. Die Hektik kommt dadurch zustande, dass ihr beinahe immer gegen mehrere Gegner und vor allem mehrere Gegnerarten ins Feld ziehen müsst. Während ein Magier euch aus der Distanz mit Zaubern unter Druck setzt, greifen aus drei Richtungen ein Flugdämon und mehrere schwertschwingende Schergen gleichzeitig an. Da „Wild Blood“ komplett auf ein Block-Feature verzichtet, könnt ihr den Attacken nur durch Bodenrollen ausweichen. Um den Überblick nicht vollständig zu verlieren, seid ihr also gezwungen, ständig die Kamera nachzujustieren, da dies nicht immer automatisch so funktioniert hat, wie wir es uns gewünscht hätten. Dass der Durchblick dabei hin und wieder flöten geht, ist aufgrund der fehlenden Zielerfassung kaum vermeidbar. Da hilft ein langer Sprintweg vom Kampfgetümmel, eine 180 Grad-Drehung und einmal tief durchatmen.
-b3-Obwohl das Ganze auf den ersten Blick stark an kopflose Button-Mashing-HacknSlay-Action erinnert, spielt die Taktik in jedem Kampf eine nicht ganz unwichtige Rolle. Ihr müsst jedes Mal aufs Neue die verschiedenen Gegnertypen ausmachen, identifizieren und dann entscheiden, wie ihr am besten vorgeht. Das macht Spaß und ist angesichts des happigen Schwierigkeitsgrads immer wieder eine Herausforderung. Während des Spielens haben wir ein ums andere Mal entnervt das Tablet in die Ecke geschmissen, denn falsche Entscheidungen im Gefecht und ein bisschen Pech lassen euch schneller ins Gras beißen als ihr glaubt. Zum Glück können jederzeit im Pausenmenü Gesundheitstränke für ein paar Münzen gekauft werden, um den auf ein Minimum reduzierten roten Balken wieder etwas Leben einzuhauchen. Normalerweise sollten die im Spiel verdienten Münzen hier ausreichen, im Notfall kann via IAP nachgeholfen werden.
Um eure Gesundheit oder Mana wieder aufzufrischen, könnt im Pausenmenü Tränke erwerben. Das Gold dafür lässt besiegte Gegner fallen, befindet sich in Vasen und Fässern, die ihr kurzerhand zerschlagt oder lässt sich in Truhen finden. Teilweise müsst ihr, um diese zu öffnen, ein kleines Minipuzzles absolvieren, in dem ihr Blöcke so verschieben müsst, dass ein Schlüsselstein zum Schloss befördert werden kann. Auch die obligatorischen Schalterrätsel sind vertreten, jedoch so moderat verteilt, dass sie kaum negativ auffallen oder gar anfangen zu nerven. Allzu fordernd sind diese Minirätsel zwar nicht, die Idee ist aber gut, das Prinzip simpel und der schnelle Erfolg befriedigend. Gebt ihr doch mal den Löffel ab, werdet ihr gefragt, ob ihr vom Speicherpunkt aus oder am Levelbeginn starten wollt. Speicherpunkte sind relativ fair verteilt und geben euch außerdem die Gelegenheit, eure sauer verdienten Goldmünzen in Upgrades für eure Waffen zu investieren. Dabei könnt ihr Schaden, kritische Treffer, Angriffsschnelligkeit oder mehrere Elementarverzauberungen für eure Waffe verbessern. Verfügt ihr zu Beginn lediglich über euren mannshohen Zweihänder, bekommt ihr schnell auch einen Bogen, der das Element der Fernangriffe in die Kämpfe bringt, sowie Doppeläxte dazu. Das sorgt einerseits für Abwechslung und zusammen mit der Möglichkeit des Upgradens andererseits dafür, dass ihr die Waffen eurer Spielweise ein wenig anpassen könnt. Die verschiedenen Elemente des Spieles greifen wunderbar ineinander, wirken zu keinem Zeitpunkt aufgesetzt und sorgen zusammen mit der toll erzählten Geschichte für einen wirklich guten Gesamteindruck.
-b4-Zu dem trägt auch die Grafik entscheidend bei! „Wild Blood“ ist einer der Titel, die die Grenzen zwischen Mobile- und Konsolengaming verschwimmen lassen. Wenn Lancelots golden beschlagene Rüstung in der Sonne glitzert, ein paar auf einer Wäscheleine aufgehängte Hemden sanft im Wind wiegen und ein einsamer Vogel seine Kreise am Himmel zieht, verursacht das schon mal herunterklappende Kinnladen. Auch das Charakterdesign kann sich wirklich sehen lassen! Zwar gibt es wohl keine typischere Heldenfigur als Sir Lancelot mit seinem markanten Kinn, schwarzem, wehendem Haar, der glänzenden Rüstung und dem Riesenschwert, allerdings ist das ganze so stilsicher inszeniert, dass man darüber gar nicht erst ins Grübeln kommt. Wer außerdem während der intensiven Kämpfe kurz innehält und einen gründlicheren Blick auf das Design der Dämonen wirft, wird belohnt, denn die Höllenbewohner sehen schlichtweg großartig und furchteinflößend aus! Dazu kommt ein imposantes Effektfeuerwerk, wann immer ihr einen magisch verstärkten Angriff loslasst oder ein Zauberer euch mit seiner Hexenkunst zu Leibe rückt. Über kleinere Ruckler können wir da getrost hinwegsehen.
Episches Ausmaß auch beim Sound. Stets passend untermalt, sorgt der orchestrale Soundtrack dafür, dass ihr tief in die Atmosphäre eintauchen und euch ganz dem Dämonengeschnetzel widmen könnt. Die Höllenbrut kreischt wunderbar wahnsinnig, wenn ihr das Schwert sprechen lasst, Dorfbewohner rufen wimmernd um Hilfe und die englische Synchronisation ist zwar leicht überspielt, angesichts des ganzen Settings aber durchaus passend.
-b5-Die Steuerung in „Wild Blood“ funktioniert alles in allem gut. Wie für das Genre üblich, steuert ihr Lancelot mit einem D-Pad durch die Gegend, umgeschaut wird durch Wischbewegungen über das Display. Dazu gibt es einen Button, der euch eine Hechtrolle ausführen lässt und, wenn gehalten, auch die Sprintfunktion beinhaltet. Im Kampf greift ihr mit zwei Buttons an – normale und magiegeladene Attacke. Ihr könnt für mehr Schaden den Knopf gedrückt halten und außerdem eine kraftvolle Sprintattacke ausführen. Beim Fernkampf mit Pfeil und Bogen unterstützt euch eine leichte Zielhilfe beim Schießen, sorgt so für geschonte Nerven und klappt nach kurzer Eingewöhnungsphase gut. Hin und wieder müsst ihr auch Geschützsequenzen durchstehen, bei denen ihr links zielt und rechts schießt. Zu Beginn hat man den Eindruck, dass eure Eingaben von Lancelot nur widerspenstig, da leicht verzögert umgesetzt werden. Das betrifft vor allem das Ausweichen. Daran gewöhnt man sich aber relativ schnell, sodass auch hier keine unlösbaren Probleme entstehen. Einzig und allein die manchmal etwas hinderliche Kameraführung ist uns ein Dorn im Auge, wer deshalb aber auf „Wild Blood“ verzichtet, hat selber Schuld.
Das war es soweit mit dem Einzelspieler-Modus, der einzige Stunden Spielspaß garantiert. Abgerundet wird das Spiel noch durch einen Mehrspielermodus, bei dem du online sowie lokal via WiFi gegen Freunde und Fremde antreten kannst. Hier gibt es zwei Spielarte: Team-Deathmatch und Fahne erobern. Beides sollte versierten Online-Spielern bekannt sein und funktioniert gut.
„Wild Blood“ ist ein iOS-Kracher! Eine absurde Story wird durch die stilsichere Präsentation großartig inszeniert. Intensive Gefechte wechseln sich mit auflockernden Video-Sequenzen und Minirätseln ab, die Grafik ist ein Augenschmaus und der Sound bombastisch. Gameloft hat wieder einmal fast alles richtig gemacht und sich die Höchstwertung verdient!