Mit dem Revival von „Carmageddon“ ist vor wenigen Tagen ein den Behörden altbekannter Titel im AppStore neu erschienen. Quasi der böse Junge unter den Rennspielen, an deren Reintegration in die funktionierende Gesellschaft sich zahlreiche Autoritäten bereits die Zähne ausgebissen haben. Ein Schulschwänzer, der, wenn er mal in der Lehranstalt zugegen war, die Mitschüler mobbte und den Lehrer den Tag versaute. Ein Kind, an dem selbst die Super-Nanny verzweifelt wäre. Geachtet und verehrt von der rebellischen Jugend, gefürchtet und verdammt von Erwachsenen war „Carmageddon“, als es vor nunmehr 15 Jahren für PC und Co in die Verkaufsregale wanderte, eine plastikgewordene Polarisation der jugendlichen Popkultur der 90er Jahre in Deutschland. Zumindest derer, die sich bereits zu solch historischen Zeiten mit Videospielen befassten. Noch heute stehen die englischen Originalversionen der Teile 1 und 2 auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien – und das will schließlich was heißen! Kann so viel sinnlose Brutalität denn auch ein sechskommasechstel Jahrhundert später und auf kleine Touchbildschirme verbannt noch Spaß machen? Oder nagt bereits der Zahn der Zeit am Charme desselbigen
-b1-„Carmageddon“ ist zunächst einmal der Beweis, dass die Entwickler vor 15 Jahren bereits mindestens genauso kreative Ideen hatten wie heute. Um nämlich ein Rennen zu gewinnen, hat man in diesem Action-Racer drei verschiedene Möglichkeiten: Entweder, es fließt tatsächlich Benzin in euren Adern und Rennen werden eurer Meinung nach beim Überqueren der Ziellinie als Erster gewonnen. Ihr fahrt also unabhängig von dem wahnsinnigen Schwachsinn, den eure Kontrahenten da augenscheinlich abziehen, vom Start an den Checkpoints vorbei ins Ziel. Die zweite Möglichkeit zu gewinnen, ist bereits etwas radikaler. Ihr tut quasi so, als wärt ihr Romain Grosjean. Der gute Mann ist Franzose und crasht in der Formel 1 zurzeit mehr als das er fährt. Mit anderen Worten: Ihr schaltet jeden einzelnen eurer Kontrahenten mit präzise gezielten Fahrmanövern und brutaler Gewalt aus und gewinnt praktisch als „Last Man Standing“. Bevor wir auf die dritte Möglichkeit eingehen, bitten wir Frauen, Kinder und Zartbesaitete ihre Augen vom Bildschirm abzuwenden oder den Raum zu verlassen. Fertig? Gut. Die dritte Möglichkeit, ein Rennen in „Carmageddon“ zu gewinnen besteht nämlich darin, alle – und ich wiederhole alle – Fußgänger im gesamten Level totzufahren. Das können auch gerne mal weit über 500 sein und jedem, der ein Level tatsächlich solange spielt, bis er auch den letzten von 500 Pixel-Gestalten zu Blut-Gedärm-Knochen-Matsch gefahren hat, lege ich hiermit einen gutgemeinten Besuch beim Psychologen ans Herz.
-b2-So ganz ohne jemanden „anzufahren“ geht es aber auch wieder nicht, denn am oberen Bildschirmrand tickt zu jeder Zeit eine Uhr runter. Einmal abgelaufen, ist das Rennen für euch beendet. Dagegen lässt sich aber etwas unternehmen, indem ihr kurzerhand ein paar der unschuldig Umherlaufenden übermangelt, denn das gibt Extra-Sekunden aufs Konto. Ein Rennen kann so locker mal über 15 Minuten gehen, wenn ihr tatsächlich versucht alle Fußgänger zu erwischen oder sich ein Kontrahent als besonders Widerstandsfähig erweist. Fest steht aber, dass aufgrund der verschieden Herangehensweisen kein Rennen so abläuft wie das andere und das ist super!
-b3-Zeitgutschriften lassen sich auch auf andere Art und Weise sammeln. Entweder, ihr lasst euren Frust an euren Mitstreitern aus und rammt fröhlich um die Wette (Je brutaler der Aufprall, desto mehr Zeit und Geld gibts), ihr versucht euch an wahnsinnigen Stunts und sahnt dafür Boni ab oder ihr fahrt kurzerhand über auf der gesamten Karte verteilte Zeitsymbole. Eure Höllenfahrt wird je nach Stil außerdem mit hartem Cash vergütet, von dem ihr euch während des Rennens reparieren lassen oder zwischen den Missionen Upgrades erwerben könnt. Außerdem lassen sich nach und nach eine ganze Reihe fantasievoll designter Fahrzeuge freischalten, alle mit unfassbar kitschigen Namen wie zum Beispiel „Straßenrüpel“. Wer sich das Ding jetzt immer noch nicht laden möchte, dem sei verraten, dass es obendrauf noch einen gut funktionierenden Replay-Modus im Spiel gibt, der sich jederzeit während des Rennens per Swipe-Bewegung nach links aufrufen lässt. So könnt ihr besondere Momente festhalten und euch immer wieder daran erfreuen.
-b4-„Carmageddon“ ist zu einhundert Prozent Retro. Auch die Grafik des Spiels ist es demnach und das mag vor allem Spieler, die den Titel noch nie zuvor in den Händen gehalten haben, abschrecken. Alle diejenigen aber, die irgendwann zwischen damals und heute schon einmal mit diesem Spiel auf einer anderen Plattform auf Fußgängerjagd gegangen sind, dürften frohlocken. Es sieht genauso „schön schrecklich“ aus wie damals. Die 3D-Welten sind wunderbar eckig und kantig, die Fußgänger und Kühe hinreißend zweidimensional und das Level-Design einfach großartig. Ihr fahrt nicht einfach eine Strecke ab, sondern bewegt euch vielmehr auf einem riesigen Areal vollgestopft mit jeder Menge Wahnsinn. Hinzu kommt, dass „Carmageddon“ flüssig vor euren Augen über den Bildschirm flimmert und deswegen gibts von uns trotz des 15 Jahre alten Look gute Punkte für das Ding – schließlich sind wir mit fortschreitendem Alter ja auch so langsam etwas Retro.
Auch der Sound erinnert an gute alte Zeiten. Im Hintergrund dröhnt Heavy-Metal Musik, von der man eigentlich gar nichts hört, weil die übrige Soundkulisse die zarten Klänge einfach übertönt. Kreischende Fußgänger, grölende Fahrer, schepperndes Metall, explodierende Bomben, zerplatschende Kühe, quietschende Reifen In „Carmageddon“ ist ordentlich was los und wer nicht an auditiver Epilepsie leidet, wird daran seine Freude haben.
-b5-Wenn es tatsächlich Grund zum Meckern gibt, dann liegt das an der gerade zu Beginn irgendwie merkwürdig schwammig wirkenden Steuerung. Hat sich der geduldige Spieler aber nach ein paar absolvierten Rennen daran gewöhnt, steht dem brutalen Rennspaß nichts mehr im Wege! Das Fahrzeug lässt sich, wie von anderen Racing-Titeln gewöhnt, mit den Richtungstasten links sowie Gas-, Brems-, und Handbremsbuttons auf der rechten Seite steuern. Nehmt ihr Schaden, repariert ihr euch, indem ihr einfach auf das Schadensmodell oben rechts tippt – vorausgesetzt, ihr habt genug Geld. Habt ihr einmal komplett die Übersicht verloren, lässt sich per Swipe nach rechts eine Mini-Karte des Levels aufrufen.
„Carmageddon“ ist ein Combat-Racer der ersten Stunde und sogar ein ziemlich guter. Das hat er seinem auch nach 15 Jahren noch innovativen Gameplay und – nach so langer Zeit – natürlich auch ein bisschen dem Charme der Zeit zu verdanken. Wir haben uns beim Spielen jedenfalls noch einmal 15 Jahre jünger gefühlt und empfehlen den Titel zu einhundert Prozent – vorausgesetzt, dass du nicht zu zartbesaitet bist.